Ausgabe 3/2024 (16. August 2024)
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Im Kontext der unsicheren Weltwirtschaftsentwicklung und der neuerlichen Rezessionsängste hat Liechtensteins Konjunktur nach einer allmählichen Entspannung wieder nachgelassen. Der Wert des Konjunkturindexes KonSens verschlechterte sich wieder merklich im 2. Quartal 2024, von −0.2 auf −1.2. Während sich Beschäftigung und Güteraussenhandel schwach – aber noch recht stabil – entwickelten, haben sich die Unternehmensbefragungsdaten wieder eingetrübt. Der KonSens liegt nun schon seit zehn Quartalen im negativen Bereich, der ein im historischen Vergleich unterdurchschnittliches Quartalswachstum signalisiert.
Der Konjunkturindex KonSens des Liechtenstein-Instituts ist ein konjunktureller Sammelindikator, der vierteljährlich 16 liechtensteinische Einzelindikatoren in sich vereint, diese mit statistischen Methoden zu einem gleichlaufenden Signal zusammenfasst und so zeitnah verschiedene – mitunter widersprüchliche – konjunkturelle Impulse zu einem einheitlichen Bild verbindet. Er generiert für jedes Quartal einen indexierten Datenpunkt in Form eines von saisonalen Einflüssen und langfristigem Wachstumstrend bereinigten Indexwertes und zeigt an, ob das volkswirtschaftliche reale Quartalswachstum über (Boom) oder unter (Rezession) dem historischen Durchschnitt seit 1998 liegt. Der Name KonSens widerspiegelt zum einen die Vorstellung des Konjunkturzyklus als «Konsens» in Form eines herausgefilterten, gemeinsamen Signals aus verschiedenen einzelnen wirtschaftlichen Impulsen. Zum anderen ist KonSens die Abkürzung für «Konjunktur-Sensor», also für ein Sensorium der allgemeinen konjunkturellen Lage. Der KonSens fokussiert auf die beobachtete Konjunkturentwicklung und weniger auf deren Rahmenbedingungen und Einflüsse. Er stellt eine konzeptionelle Erweiterung zur üblichen Abstützung auf das Bruttoinlandsprodukt dar und liegt früher sowie mit höherer Frequenz als das in Liechtenstein jährlich publizierte BIP vor. Der vierteljährliche KonSens wird immer Mitte des folgenden Quartals publiziert und ist ein Modul der «Angewandten Wirtschaftsanalyse», welche durch die Regierung des Fürstentums Liechtenstein gefördert wird.
Die Konjunkturanalyse ist ein wichtiger Bestandteil der volkswirtschaftlichen Forschung, deren Ergebnisse für Politik, Verwaltung und Unternehmen von unmittelbarer Relevanz sind. Ziel der Konjunkturanalyse ist es, den Konjunkturverlauf möglichst zutreffend und zeitnah zu beschreiben und zu erklären (während sich im Gegensatz dazu die Wachstumsanalyse der langfristigen volkswirtschaftlichen Entwicklung widmet). Für Wirtschaft, Wirtschaftspolitik und wissenschaftliche Konjunkturanalyse ist es von grosser Bedeutung, möglichst genau und früh zu wissen, an welchem Punkt eines Konjunkturzyklus sich die Wirtschaft gerade befindet. Ähnlich wie bei Wetterprognosen stellt die richtige Analyse der Vergangenheit und der aktuellen Lage eine essentielle Voraussetzung für die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung dar. Im Gegensatz zur vergleichsweise eindeutig bestimmbaren aktuellen Wettersituation ist es aber nicht einfach festzustellen, in welcher konjunkturellen Phase die Wirtschaft sich gerade befindet. Die momentan verfügbare Datenbasis in Liechtenstein erschwert dies noch, beispielsweise liegt eine erste offizielle Schätzung des BIP erst mit über einem Jahr Verzögerung vor und nur in jährlicher Frequenz. Zudem ist die ausschliessliche Abstützung auf schweizerische Indikatoren nicht optimal, unter anderem wegen des nachgewiesenen, statistisch signifikanten Konjunkturvorlaufs (Brunhart 2018) Liechtensteins gegenüber der Schweiz.
Konjunkturindikatoren spielen in der Analyse und Prognose der konjunkturellen Entwicklung eine wichtige Rolle. Im Wesentlichen können alle Daten, welche für die Konjunkturanalyse relevant sind, als Konjunkturindikatoren bezeichnet werden. Dabei ist nicht nur die jeweilige Entwicklung der einzelnen Variablen (wie zum Beispiel BIP, Aussenhandel oder Arbeitslosigkeit) von Bedeutung, sondern auch das Gesamtbild, welche sie ergeben. Dies gilt sowohl für die deskriptive Interpretation, wie auch für statistische Modelle in Konjunkturtheorie, -analyse oder -prognose. Durch den Konjunkturindex KonSens wurde 2019 ein neuer und gesamtwirtschaftlicher Konjunkturindikator geschaffen, der früher und häufiger als andere Masszahlen makroökonomischer Aktivität zur Verfügung steht. Er erreicht eine Zusammenfassung von verschiedenen einzelnen Konjunkturindikatoren aus verschiedenen Bereichen und in divergierenden Dimensionen oder Masseinheiten. Gegenüber der Fokussierung auf einzelne Konjunkturindikatoren hat die Verwendung eines konjunkturellen Sammelindikators wie dem KonSens auch direkte methodische und statistische Vorteile: Die Volatilität – die im Klein(st)staat Liechtenstein üblicherweise sehr hoch ist – wird reduziert, einander ergänzende Informationen kombiniert und eine bessere Übertragung von konjunkturellen Impulsen erreicht. Sammelindizes spielen für Konjunkturanalyse und -prognose weltweit eine prägende Rolle, Beispiele aus der Schweiz sind der (gleichlaufende) SNB Business Cycle Index oder das (vorlaufende) KOF Barometer.
Der KonSens liefert wertvolle konjunkturrelevante Hinweise zur wirtschaftlichen Lage Liechtensteins, indem er das aufwendige Studium verschiedener Daten aus unterschiedlichen Quellen und Publikationen vereinfacht. Der Fokus liegt dabei vor allem auf dem Zustand von Liechtensteins Konjunktur und weniger auf deren Rahmenbedingungen/Determinanten oder Einflüsse. Der KonSens ist so konstruiert, dass er über alle Beobachtungen seit Beginn der Zeitreihe einen Mittelwert von 0 und eine Varianz von 1 hat. Er hat keine direkte Wachstumsraten-Interpretation, weil die 16 berücksichtigten Variablen verschieden in Bezug auf Grösse und Messeinheit sind und diese per Hauptkomponentenanalyse gewichtet werden. Der KonSens gibt jedoch einen Hinweis über das gemeinsame Wachstumsmuster der Variablen (das von saisonalen Effekten und langfristigem Trend bereinigte Wachstum kann als Konjunktur interpretiert werden). Ein KonSens-Wert im Bereich von 0 zeigt im betreffenden Quartal ein reales Wachstum an, das verglichen mit allen Quartalen seit 1998 durchschnittlich ist. Ein Wert grösser als 0 bedeutet überdurchschnittlich hohes Wachstum (Boom), ein Wert kleiner als 0 unterdurchschnittliches, also tiefes oder negatives Wachstum (Rezession). Der standardisierte und damit einfach zu interpretierende KonSens-Wert liefert den Medien, der öffentlichen Verwaltung, Aufsichtsbehörden, politischen Entscheidungsträgern, Verbänden, Unternehmungen, der ökonomischen Forschung und der breiten interessierten Öffentlichkeit zeitnah wichtige Informationen zum Konjunkturverlauf in Liechtenstein. In Form des KonSens entsteht zudem eine zentrale Referenzreihe für quantitative oder qualitative Prognose und kann direkt für Monitorings und Untersuchungen über die Konjunkturanalyse im engeren Sinne hinaus verwendet werden (z. B. für makroprudenzielle Aufsicht der Finanzmarktaufsicht Liechtenstein).
Die folgenden Einzelindikatoren fliessen in die Berechnung des KonSens ein:
Die einzelnen Variablen werden zeitreihenanalytischen Datentransformationen unterzogen: Potenzielle Saison- und Kalendereffekte werden herausgerechnet, der langfristige Wachstumstrend beseitigt und die in Geld gemessenen Grössen preisbereinigt. Die Aggregation der Einzelvariablen zum KonSens-Wert geschieht per Hauptkomponentenanalyse, einem statistischen (multivariaten) Algorithmus. Eine ausführliche methodische Darstellung und Präsentation des KonSens findet sich in Brunhart 2019.
Der Name KonSens spiegelt zum einen die Vorstellung des Konjunkturzyklus als «Konsens» aus verschiedenen einzelnen konjunkturellen Impulsen. Das aus den verschiedenen liechtensteinischen Konjunkturindikatoren herausgefilterte gemeinsame Signal kann also als Konsens vieler einzelner Signale bezeichnet werden. Zum anderen ist der Name KonSens die Abkürzung für «Konjunktur-Sensor», also für ein Sensorium der konjunkturellen Lage der liechtensteinischen Volkswirtschaft.
Die Publikationsverzögerung von eineinhalb Monaten ist vergleichsmässig nicht hoch (das vierteljährliche BIP der Schweiz beispielsweise wird mit fast zwei Monaten Verzögerung publiziert) und auf jeden Fall eine enorme Verkürzung gegenüber der Verzögerung bei anderen volkswirtschaftlichen Aggregaten zu Liechtenstein. Sobald alle Einzeldaten, welche in den KonSens Eingang finden, verfügbar sind, kann der KonSens zeitnah berechnet und publiziert werden. Der KonSens stellt zudem einen wichtigen ersten Schritt dar, weitere Tools zur Konjunkturanalyse können direkt darauf aufbauen, beispielsweise eine qualitative KonSens-«Prognose» des aktuellen Quartals.
Dr. Andreas Brunhart, Forschungsleiter Volkswirtschaft
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