Schiess, Patricia (2022): Since 2003, no longer an indivisible and inalienable whole. The right of the Liechtenstein municipalities to initiate a secession procedure, DPCE Online, Vol 52 No 2 (2-2022), S. 939-954.

Erscheinungsjahr:
2022

Online zugänglich unter:
http://www.dpceonline.it/index.php/dpceonline/article/view/1623
 

Abstract Englisch
This article subjects the right of the Liechtenstein municipalities to secede to a constitutional analysis. It takes into account Hans-Adam II’s comments on the right to self-determination, the legal opinions obtained in 1999 and Opinion No. 227/2002 of the Venice Commission. The investigation concludes that by introducing Article 4 paragraph 2, Hans-Adam II disregarded Article 1 of the Constitution of 1921 (“The Principality of Liechtenstein constitutes [...] an indivisible and inalienable whole”), which dates back to the Constitution of 1862. Furthermore, he did not respect the declaration to maintain the integrity of the Principality, which every successor to the throne has to make prior to receiving the oath of allegiance.

Abstract Deutsch
Der Beitrag widmet sich Art. 4 Abs. 2 LV, das heisst dem Recht der Gemeinden, aus dem Staatsverband auszutreten. Es wurde im Jahr 2003 auf Wunsch von Fürst Hans-Adam II. in die Verfassung aufgenommen und wird nicht selten als Sezessionsrecht bezeichnet. Die Verfassungsbestimmung gibt den Gemeinden allerdings keinen Anspruch darauf, das Land zu verlassen, sondern lediglich das Recht, das Verfahren einzuleiten, das zu ihrem Austritt führen kann. Für einen Austritt wäre nämlich die Zustimmung von Landtag, Landesfürst und – falls das Referendum ergriffen wird – auch der Stimmberechtigten ganz Liechtensteins notwendig.

Die verfassungsrechtlich angelegte Untersuchung setzt Art. 4 Abs. 2 LV in Verbindung mit Artikel 1 der Verfassung, der 2003 ebenfalls geändert wurde. Artikel 1 war 1921 aus der Konstitutionellen Verfassung von 1862 übernommen worden und garantierte dem Territorium die Unabhängigkeit vom Staatsoberhaupt und der Fürstlichen Familie. Sein erster Satz hatte gelautet: «Das Fürstentum Liechtenstein bildet in der Vereinigung seiner beiden Landschaften Vaduz und Schellenberg ein unteilbares und unveräusserliches Ganzes.» Dieser Satz musste 2003 bei der Verfassungsrevision weichen, damit mit dem neuen Art. 4 Abs. 2 LV auf aussenpolitischer Ebene ein Zeichen gesetzt werden konnte für das Selbstbestimmungsrecht und das demokratische Prinzip.

Was es für Liechtenstein bedeuten würde, wenn in einer Gemeinde Bestrebungen ergriffen würden, das Land zu verlassen, wurde damals nicht durchgespielt. Es ist auch heute ungewiss, weil kein Gesetz erlassen wurde, welches das Verfahren regelt.