Frommelt, Fabian (2019): Die vormoderne Gemeinde in Vaduz und Schellenberg. In: Liechtenstein-Institut (Hg.): Gemeinden – Geschichte Entwicklung, Bedeutung. Bendern (Beiträge Liechtenstein-Institut, 45), S. 11–46.

Erscheinungsjahr:
2019
Band-Nummer:
45

Abstract
Der Begriff «Gemeinde» bezeichnete in der frühneuzeitlichen Grafschaft Vaduz und in der Herrschaft Schellenberg (ab 1719 Fürstentum Liechtenstein) zum einen die beiden überlokalen Gerichtsgemeinden Vaduz und Schellenberg, zum anderen die örtlichen Dorfgemeinden. Letztere sind Gegenstand des vorliegenden Beitrags. Die Ursprünge der Dorfgemeinde werden – alternativ zum in der liechtensteinischen Literatur vorherrschenden markgenossenschaftlichen Erklärungsmodell – in einem multikausalen, vor allem auf den hoch- und spätmittelalterlichen Wandel der Grundherrschaft abstellenden Ansatz gesucht.

Die (Dorf-)Gemeinde ist in Vaduz und Schellenberg ab dem späteren 14. und frühen 15. Jahrhundert in den Quellen fassbar. Als Gebietskörperschaft mit Rechtspersönlichkeit, Selbstverwaltungsrechten und Satzungshoheit stellte sie in der Vormoderne eine grundlegende soziale, wirtschaftliche und zunehmend auch politische Kategorie der ländlichen Gesellschaft dar. Die Gemeinden (Genossenschaften, Nachbarschaften, Kirchspiele) begegnen früh in Zusammenhang mit Gebietskäufen und -verkäufen sowie als Parteien in Nutzungs-, Grenz- und Wuhrkonflikten vor Gericht. Erste fassbare kommunale Amtsträger waren die Gemeindegeschworenen und die Kirchenpfleger. Später differenzierte sich das kommunale Ämterwesen stark aus. Oberstes Gemeindeorgan war die Gemeindeversammlung.
 

Die kommunalen Aufgaben bezogen sich primär auf die Nutzung des Gemeindebodens, der Allmenden, Wälder und Alpen. Aktiv waren die Gemeinden aber auch in der Verwaltung des Kirchenguts, der Armenfürsorge und im Schulwesen. Mit der wachsenden Bevölkerung und dem steigenden Druck auf die dörflichen Ressourcen schottete sich die Gemeinde zunehmend gegen Neuzuzüger ab, wofür sie insbesondere das Hofstattrecht und die Einkauftaxen nutzte. Zur Durchsetzung der von ihr gesetzten Normen und zur Finanzierung ihrer Aufgaben verfügte sie über ein (begrenztes) Buss- und Besteuerungsrecht.
Die 1809 in Kraft getretene Gemeindereform wird im Beitrag nicht als Beginn oder «Geburtstag» der Gemeinde verstanden, wohl aber als Bruch der Gemeindeentwicklung, durch welchen die Gemeinde unter Verlust ihrer Autonomie verstaatlicht und als «politische Gemeinde» in den entstehenden Staat eingebunden wurde. Die kommunale Tradition reicht aber auch in Liechtenstein wesentlich weiter zurück, wobei die vormoderne Gemeinde, gemessen an den frühneuzeitlichen Gegebenheiten, keineswegs defizitär erscheint.