Das Cassis-de-Dijon-Prinzip und seine Auswirkungen auf die EFTA

03.03.2021 - Neue Publikation
Vor vierzig Jahren erging die mittlerweile berühmte Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Cassis de Dijon. Diese Entscheidung hat die Entstehung des EU-Binnenmarktes stark beeinflusst. Zum Jubiläum der Cassis-de-Dijon-Entscheidung haben die Professorinnen Albertina Albors-Llorens und Catherine Barnard (beide Universität Cambridge) sowie Brigitte Leucht (Universität Portsmouth) einen Sammelband herausgegeben. Ein Beitrag dieses Sammelbandes wurde von Georges Baur verfasst.

Zur Erinnerung: Beim Cassis-de-Dijon-Entscheid ging es vereinfacht gesagt darum, dass Waren, die in einem Mitgliedstaat hergestellt und in Verkehr gebracht worden sind, grundsätzlich auch in allen anderen Mitgliedsstaaten ohne weitere Kontrollen verkauft werden können. 

In seinem Beitrag widmet sich Georges Baur nun der Frage, ob – und gegebenenfalls wie – die Cassis-Entscheidung auch Auswirkungen auf die nächsten Nachbarn der EU hatte, nämlich auf die Mitgliedstaaten der Europäischen Freihandelsassoziation (EFTA) – Island, Liechtenstein, Norwegen und die Schweiz. Diese vier Staaten sind heute neben dem Vereinigten Königreich die wirtschaftlich und politisch engsten Partner der EU. Sie nehmen am EU-Binnenmarkt teil oder haben zumindest teilweise Zugang zu diesem. Daher werden die EFTA-Staaten auch laufend vom EU-Recht beeinflusst, sowohl von der Gesetzgebung als auch von der Rechtsprechung.

Während die gegenseitige Anerkennung in der EU viel akademische Aufmerksamkeit erlangt hat, ist ihre Anwendung im Kontext der EFTA-Staaten bisher nicht auf grosses Interesse gestossen. Entweder wird sie einfach als «gegeben» angesehen oder die Wissenschaft konzentriert sich, wie im Fall der Schweiz, auf die spezifisch schweizerische Situation.

In diesem Beitrag wird gezeigt, dass die Wirkung der Cassis-de-Dijon-Rechtsprechung im weitesten Sinne nicht an den Grenzen der EU Halt macht. Sie hatte erhebliche Auswirkungen in allen Staaten des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR), einschliesslich der drei teilnehmenden EFTA-Staaten, was angesichts ihres Integrationsgrads mit der EU nicht überraschend sein mag. Überraschender ist die grosse Wirkung des Cassis-Urteils in der Schweiz und zwar betreffend das nationale Recht, in Bezug auf ihr Verhältnis mit der EU und im Hinblick auf den Aussenhandel im Allgemeinen. Dennoch wurde diesen Aspekten seitens der EU bisher wenig Aufmerksamkeit geschenkt. Dieses Desinteresse deckt sich mit der Ignoranz betreffend andere Modelle der europäischen Integration, wie etwa die EFTA.

Der Beitrag befasst sich zunächst damit, was die EFTA ist und wie sich ihre Mitgliedstaaten zur Binnenmarktgesetzgebung und Rechtsprechung der EU verhalten. Dann wird untersucht, wie die gegenseitige Anerkennung und das Cassis-de-Dijon-Prinzip jeweils angewendet werden. Von besonderem Interesse ist in diesem Zusammenhang die Position der Schweiz, die in Bezug auf den freien Warenverkehr eine besondere Form der Assoziierung mit dem EU-Binnenmarkt aufweist und in Bezug auf andere Freiheiten teilweise gar nicht mit der EU verbunden ist. Der Beitrag schliesst mit einer Reihe von Schlussbemerkungen.