Tagung der Internationalen Gesellschaft für rechtliche Volkskunde am Liechtenstein-Institut

19 Jan 2022 - News
Am 23. Oktober 2021 fand die Jahrestagung der Internationalen Gesellschaft für rechtliche Volkskunde am Liechtenstein-Institut statt. Rechtliche Volkskunde ist im Schnittbereich zwischen Rechtsgeschichte und Volkskunde angesiedelt. Eine Auswahl der an den Jahrestagungen vorgestellten Beiträge wird in der Reihe «Signa Iuris – Beiträge zur Rechtsikonographie, Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde» publiziert.

Die Internationale Gesellschaft für rechtliche Volkskunde (IGRV) entstand 1986 als loser Zusammenschluss von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie wissenschaftlich Interessierten im Bereich der rechtlichen Volkskunde vornehmlich des deutschsprachigen Raums. Sie ging aus der 1963 gegründeten «Sektion Rechtliche Volkskunde» der Schweizerischen Gesellschaft für Volkskunde hervor.

Rechtliche Volkskunde ist im Schnittbereich zwischen Rechtsgeschichte und Volkskunde angesiedelt. Sie erforscht rechtsgeschichtliche Aspekte der Alltagskultur. Dabei ergeben sich starke Berührungspunkte mit der Rechtsikonographie, Rechtsarchäologie, Rechtssprachenforschung, Ortsnamenforschung, Heraldik und Kulturgeschichte. Eine Auswahl der Forschungsergebnisse der Jahrestagungen wird in der Reihe «Signa Iuris – Beiträge zur Rechtsikonographie, Rechtsarchäologie und Rechtlichen Volkskunde» publiziert.

Zweite Durchführung der Tagung in Liechtenstein
Nachdem die Jahrestagung 2020 in Wittenberg auf Grund der Coronapandemie abgesagt werden musste, fand die letztjährige Tagung am Liechtenstein-Institut statt. Bereits vor einigen Jahren wurde eine Jahrestagung der IGRV auf Gutenberg in Balzers durchgeführt. Aus diesem Grund lag der Fokus dieser Tagung auf dem Liechtensteiner Unterland.

Zum Programm
Die Tagung am 23. Oktober 2021 wurde durch Georges Baur (Liechtenstein-Institut) in Vertretung des Institutsdirektors Christian Frommelt eröffnet.

Franz Gut (Wollerau) leitete die Vorträge mit seinem Beitrag zu «Rechtliche Volkskunde, Rechtsarchäologie und Rechtsikonographie im Spiegel von zwei publizierten Forschungsreihen» ein. Daran schloss sich Prof. Dr. Angelo Garovi (Basel/Bern) mit seinen «Bemerkungen zur Verbreitung einiger deutscher Rechtswörter – Votum für einen Rechtssprachatlas mit Materialien des DRWB» an.

Im Anschluss referierte Emanuel Schädler (Liechtenstein-Institut) über «Die liechtensteinische Rechtsgeschichte in Darstellung und Vorstellung – Ein Überblick». Schädler befasste sich mit der Wechselwirkung von Vorstellungen (rückblickend, zeitgenössisch; individuell, kollektiv) und Darstellungen (Selbst- und Fremddarstellung; ikonographisch, historiographisch) von Recht im Laufe der liechtensteinischen Rechtsgeschichte. Hierfür zog er exemplarisch Bilder im weitesten Sinne, die liechtensteinische Sagenwelt sowie Peter Kaisers «Geschichte des Fürstenthums Liechtenstein» heran. Anhand dieser Quellen führte Schädler von einer Grenzsteinstreitigkeit im frühen 9. Jahrhundert über – nebst vielem anderem – die Gerichtsbarkeit der Landammänner, die fürstlichen Dienstinstruktionen sowie die Verfassungen von 1862 und 1921 bis in die Gegenwart.

Der Galgen als Rechtssymbol
Den Abschluss der Tagung bestritt Fabian Frommelt (Liechtenstein-Institut) mit seinem Beitrag «Das Hochgericht im Rechtsritual und als Rechtssymbol. Zwei Fallbeispiele aus der Herrschaft Schellenberg im frühen 18. Jahrhundert». Frommelt stellte anhand von zwei Fallbeispielen aus der Herrschaft Schellenberg die Bedeutung und Funktion des Galgens im Rechtsritual und als Rechtssymbol vor. Während die rituelle Neuerrichtung des Galgens nach dem Übergang der Herrschaft Schellenberg an das Fürstenhaus Liechtenstein 1699 dazu diente, die neue Herrschaft abzusichern, zu legitimieren und zu stabilisieren, entzündete sich 1722 an der vom Fürsten beabsichtigten Abschaffung des Galgens der Widerstand der Untertanen. Diese sahen im Hochgericht ihre überkommene Stellung als eigene, reichsunmittelbare Herrschaft mit landschaftlich-ständischen Partizipationsrechten verkörpert. In dieser Mehrdeutigkeit von Symbolen und Ritualen liegt nach Barbara Stollberg-Rilinger deren «spezifische Leistungsfähigkeit»: Indem Deutungsunterschiede der Beteiligten verschleiert würden, könne an die Stelle eines wirklichen Konsenses eine «rituelle ‹Konsensfassade› oder ‹Einmütigkeitsfiktion›» treten, was in Konfliktsituationen gemeinsames Handeln und die Aufrechterhaltung stabiler institutioneller Strukturen ermögliche. Im vorliegenden Fall wurde es der Obrigkeit durch die mehrdeutige Symbolik des Galgens erleichtert, auf dessen beabsichtigte Beseitigung zu verzichten, ohne vor den Untertanen das Gesicht zu verlieren.