«Decentring Deportation»: Internationaler Workshop

10 Mar 2021 - News
Unter dem Titel «Decentring Deportation – Mobility Injustice and the Circulations of Population Control» führten die Universität Bern und das Liechtenstein-Institut am 18. und 19. Februar 2021 einen international besetzten Workshop durch. Dieser hatte zum Ziel, neue Perspektiven im sich dynamisch entwickelnden Feld der „deportation studies“, der Forschung zu Abschiebungen als Mittel der Migrations- und der Bevölkerungskontrolle, zu diskutieren. Vonseiten des Liechtenstein-Instituts zeichnete Stephan Scheuzger verantwortlich.

Dezentrierung
Im Mittelpunkt des Workshops, der aufgrund der Covid-19-Einschränkungen online stattfand, stand dabei die Frage der Überwindung der nach wie vor dominierenden eurozentrischen Ausrichtung dieser Forschung, die fast ausschliesslich Europa, die Vereinigten Staaten, Kanada und Australien als deportierende Räume und die Länder des sogenannten „globalen Südens“ als Empfängerkontexte von Abgeschobenen betrachtet. Die globalen Zusammenhänge, in denen sich das Instrument der Abschiebung gerade auch in den letzten Jahrzehnten mit tiefgreifenden Konsequenzen entwickelt hat, haben die Verhältnisse indessen wesentlich ausdifferenziert. So sind wichtige Zentren der internationalen Deportation auch im Nahen Osten, in Lateinamerika, Afrika und Asien entstanden – wofür nicht zuletzt auch Externalisierungsstrategien verantwortlich gewesen sind, mit denen sich die Europäische Union oder die USA zunehmend bestrebt gezeigt haben, unerwünschte Einwanderer und Einwanderinnen von ihren eigenen Grenzen fernzuhalten.

Die gerade auch durch solche Prozesse noch einmal hervorgehobene Notwendigkeit einer Re-Perspektivierung von Deportationpolitiken und ‑praktiken verbindet sich nicht zuletzt auch mit der Einsicht in den Umstand, dass nicht nur Deportierte gereist sind, sondern gleichsam auch die Deportation selbst. Indem die Forschung in den letzten Jahren zunehmend Deportierten entlang der Stationen ihrer grenzüberschreitenden Bewegungen gefolgt ist, hat sie die lange vorherrschende nationalstaatliche Fixierung ihrer Analyserahmen bereits aufzulösen begonnen. Wie die Diskussionen unter im Rahmen des Workshops aber auch noch einmal deutlich gemacht haben, ist es zu einem angemessenen Verständnis der globalen Karriere, die das Instrument der Abschiebungen in den vergangenen Jahrzehnten gemacht hat, unerlässlich, den Blick auch auf den transnationalen Transfer von deportationsrelevanten Wissensbeständen, Normen oder Ressourcen zu richten. Dadurch gelangen Verflechtungszusammenhänge in den Blick, die sich nicht einseitig in einem Zentrum-Peripherie-Modell erfassen oder in ein Narrativ von „the West and the rest“ integrieren lassen, sondern sinnvoll als Zirkulationen zu konzipieren sind. Indem Zirkulationen als Prozesse verstanden werden, in denen sich die Übertragung mit der permanenten transformierenden Reproduktion von Wissen, Normen und Ressourcen verbindet, unterstützt der Fokus darauf seinerseits noch einmal einen dezentrierenden Ansatz und vermag – so eine einhellige Beurteilung in den Workshop-Debatten – einen wesentlichen Beitrag zu einer grundlegenden Neuausrichtung des Forschungsfeldes der „deportation studies“ zu leisten.

Interdisziplinarität
Angesichts der Vielschichtigkeit des nur vermeintlich einfachen, in Wirklichkeit indessen äusserst voraussetzungsvollen Aktes der Abschiebung eines oder einer Nicht-Staatsangehörigen in ein anderes Land haben sich zahlreiche Disziplinen mit dem Phänomen der Deportation befasst. Vor dem Hintergrund einer bisher ungleich stärker multi- als interdisziplinär funktionierenden Forschung haben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Workshops aus der Rechts-, der Politik- und der Geschichtswissenschaft sowie der Sozialanthropologie und der Geographie prominent gerade auch Konzepte und Methoden einer verstärkten fächerübergreifenden Zusammenarbeit auf dem Gebiet erörtert.  Die Ergebnisse der fruchtbaren Diskussionen haben die Beteiligten bestärkt, eingeschlagene innovative Wege der Forschung weiter zu beschreiten und dabei noch intensiver über Disziplinengrenzen hinweg zu kooperieren und nach einer gemeinsamen Sprache in der wissenschaftlichen Behandlung des politisch ebenso aktuellen wie kontrovers debattierten Themas zu suchen.

OrganisatorInnen
Prof. Dr. Alberto Achermann, Universität Bern
Dr. Gertrude Saxinger, , Universität Bern
PD Dr. Stephan Scheuzger, Liechtenstein-Institut
Prof. Dr. Sabine Strasser, Universität Bern
Prof. Dr. Susan Thieme, Universität Bern

Eingeladene
Prof. Dr. Jürgen Bast, Universität Giessen
Dr. Özge Biner, École des Hautes Études en Sciences Sociales, Paris
Prof. Dr. Deirdre Conlon, University of Leeds
Prof. Dr. Susan Bibler Coutin, University of California Irvine
PD Dr. Paolo Gaibazzi, Universität Bayreuth
Prof. Dr. William Walters, Carleton University