Referent
Prof. Dr. Frank Schimmelfennig, ETH Zürich
Zum Vortrag
Grenzen zu überwinden war ein vorrangiges Ziel der frühen föderalistischen Bewegungen in Europa, Schlagbäume niederzureissen eine ihrer symbolträchtigsten Aktionen. Gegenwärtig steht jedoch die Errichtung neuer Hürden und Kontrollen an den Grenzen im Vordergrund der europäischen Politik – unter anderem gegenüber Migranten und Flüchtlingen, chinesischen Exporten und russischer Aggression. Haben wir es mit einer Abkehr von europäischen Idealen zu tun – oder vielmehr mit politischer Gemeinschaftsbildung, die traditionell mit der Schliessung der Aussengrenzen und dem Verschwinden von Binnengrenzen einherging? Der Vortrag zeichnet die Entwicklung von Grenzöffnung und Grenzkontrolle an den Binnen- und Aussengrenzen der EU nach und diskutiert die wichtigsten Einflussfaktoren europäischer Grenzentwicklung.
Zur Vortragsreihe
Grenzen definieren Territorien. Territorien als politischen Entscheidungsräumen wie auch als Identifikationsräumen kam in der Entwicklung der modernen Welt eine zentrale Rolle zu. Die beschleunigten Globalisierungsprozesse ab dem späten 20. Jahrhundert fordern bestehende territoriale politische Entscheidungsräume und Identifikationsräume – gerade in der bislang dominierenden Form des Nationalstaates – zunehmend heraus und lassen diese auch nicht mehr unbedingt als deckungsgleich erscheinen. In diesem Kontext wird die Bedeutung von Grenzen seit einiger Zeit neu betrachtet und diskutiert. Diese Bedeutung ist alles andere als eindeutig. Während Grenzen teilweise durchlässiger geworden sind, sind sie andernorts oder für bestimmte Personengruppen oder Güter in den letzten Jahren und Jahrzehnten verstärkt worden.
Die Bedeutung von Grenzen ist für alle Zeiten differenziert zu betrachten. Immer haben sich nicht nur Menschen über Grenzen, sondern auch Grenzen über Menschen hinwegbewegt. Grenzen haben stets nicht nur geschützt, sondern auch zerstört. Und Grenzen haben nicht nur Räume getrennt, sondern auch verbunden.
In kleinen Staaten, wie Liechtenstein, sind die territorialen Grenzen gleichsam allgegenwärtig. Ihre vielfältige Bedeutung ist laufend unmittelbar zu erfahren. Im Jahr nach dem hundertjährigen Jubiläum des Abschlusses des Zollvertrags mit der Schweiz widmet das Liechtenstein-Institut deshalb dem Thema «Grenzen» eine Vortragsreihe.
Vier Beiträge beleuchten dabei das Thema aus geschichts-, politik-, rechts- und wirtschaftswissenschaftlicher Perspektive. Theoretische und konzeptionelle Überlegungen werden mit praktischen, empirischen Befunden in Bezug gesetzt. Auf das «Grenzland» Liechtenstein wird ebenso geblickt wie darüber hinaus.
Die Vorträge können auch per Zoom mitverfolgt werden. Teilnahmelinks können unter angefordert werden.